Es hätte noch einen Platz – oder rund zehn weitere: Im Coiffeursalon sind gerade einmal zwei Stühle besetzt. Teenager schlendern mit Turnbeuteln an ihren Rücken umher, einen Becher Bubble Tea in den Händen. Schuhe quietschen auf den hellen Fliesen, von nebenan dröhnt Hip-Hop-Musik aus einem Laden, wir hören Kindergeschrei.
In einem Buchladen steht eine Verkäuferin hinter der Kasse. Gespannt blickt sie zum Eingang. Doch da kommt niemand.
Zweifellos: Viel los ist im grössten Einkaufstempel der Zentralschweiz, der Mall of Switzerland, an diesem späten Mittwochnachmittag nicht.
Das bestätigt eine Store-Managerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. «An diesem Tag haben wir bis jetzt 40 Eintritte verzeichnet», sagt sie. Ein Blick auf die Uhr zeigt: Es ist kurz nach 17 Uhr. Die Mall hat noch knapp zwei Stunden geöffnet. 40 Menschen haben bis jetzt also diesen Laden betreten – einschliesslich den Verkäuferinnen. Viel mehr werden es wohl nicht mehr werden. «40 Eintritte, das ist nichts. Manchmal ist es echt frustrierend.»
Dass heute so wenig läuft, ist keine Seltenheit. «Freitagabend und Samstag sind Spitzentage. Doch unter der Woche …» Sie hält ihren rechten Arm waagrecht in die Höhe, um die Flaute, die ausbleibenden Kundinnen, zu verbildlichen. «An der Eröffnung war es hier pumpenvoll. Und was ist jetzt?»
Ein Kommen und Gehen
Doch nicht nur bei Luzernerinnen steht ein Besuch in der Mall nicht gerade zuoberst auf der Prioritätenliste. Manchmal haben auch die Mieter keine Lust mehr, in der Mall zu bleiben. Seit der Eröffnung vor fünf Jahren sind Auszüge und leere Ladenflächen kein Novum. Erst kürzlich hat die «Luzerner Zeitung» berichtet, dass die Mall mit Terranova, Footlocker, Skechers und dem Café Rock weitere wichtige Mieter verliert. Eine Recherche derselben Zeitung zeigte im November 2022, dass bei der Eröffnung 20 der 125 verschiedenen Geschäfts- und Gastroflächen frei waren. Im November 2022 waren es rund 40 und damit rund ein Drittel aller Flächen.
Beunruhigt darüber zeigen sich die Verantwortlichen der Mall nicht. «Handel ist Wandel!», lässt die Medienabteilung euphorisch verlauten. «Ein modernes Einkaufszentrum unterliegt einem ständigen Wechsel. Das ist normal und gehört dazu.» Sie seien laufend im Gespräch mit möglichen neuen Geschäften. Bleiben Ladenflächen leer, würden diese von Pop-ups belebt oder für Ausstellungen und «Attraktionen» wie Ostereiersuche oder Selfie-Boxen genutzt werden.
Von leeren Ladenflächen ist hier nicht viel zu sehen – doch es erstaunt auch nicht, dass auf einer Ladenfläche schicke Autos und Sportmotorräder stehen. Einen Verkäufer sucht man im Innern vergebens. Dafür gibt’s Tafeln, die etwas über die ausgestellten Töffs verraten.
Weniger Stau, mehr Werbung, besseres Image
Die Store-Managerin hat sich auch schon gefragt, woran es liegt, dass die Kunden ausbleiben. «Wenn ich in meinem Umfeld nachhake, können viele oft gar keinen wirklichen Grund nennen.» Manche hielte der drohende Stau ab, doch das Problem ortet sie woanders: am Image des Einkaufstempels.
«Man müsste das Image der Mall aufpolieren und mehr in die Werbung investieren.» Oder einen breiteren Ladenmix aufstellen. Gerade viele der Kleidergeschäfte seien eher auf Fast Fashion ausgerichtet und sprächen eher Junge als Ältere aus der Mittelklasse an. Wichtig sei es ihrer Meinung nach, nicht nur Luzerner, sondern auch Kunden aus anderen Kantonen in die Mall zu locken. Dennoch bleibt sie optimistisch, dass sich in der Mall in nächster Zeit etwas tut.
Samstag Top – Rest der Woche Flop
Andere Verkäufer erzählen Ähnliches. «Samstag ist spitze – unter der Woche herrscht hier tote Hose», sagt ein Mann hinter der Kasse.
In einem anderen Kleidergeschäft ist ausser zwei Verkäuferinnen niemand anzutreffen. Während die eine Kleiderbügel an der Stange hin und her schiebt, hält die andere einen Pullover in der Hand, den sie faltet und geordnet auf den Tisch zurücklegt. Wie oft sie das an diesem Tag wohl schon gemacht hat?
Anfang Jahr und Anfang der Woche laufe im Einkaufscenter wirklich nicht viel, sagt die junge Frau. Samstags sei «Full House». Kaum zu glauben, wer an diesem Mittwoch seinen Blick über die vier Etagen der Mall schweifen lässt.
«Dann müssen wir uns die Arbeit eben suchen.»
Verkäuferin in der Mall of Switzerland
Ist es nicht frustrierend, zu arbeiten, ohne dass die Kundinnen kommen? «Klar gibt es Tage, an denen wir nach zwei Stunden alles erledigt haben. Dann steht man hier rum … das ist echt mühsam.» Und ihre Kollegin ergänzt: «Dann müssen wir uns die Arbeit eben suchen.»
Sie würde sich wünschen, dass die Mall etwas dafür tun würde, um mehr Besucher anzulocken. «Man sieht ja keine Werbung.» Zwar fänden immer wieder Events statt – wie eine Talent-Show mit «Deutschland sucht den Superstar»-Gewinner Prinz Damian letztes Jahr. «Aber das lockt doch nur Kids an.» Auch ein besserer Ladenmix – mit «moderneren Läden» wie Zara – wäre vielleicht überzeugender.
Vom Pomp ist nichts mehr da
Rückblende: Es war der 8. November 2017, als mehrere hundert Personen es kaum erwarten konnten, den Einkaufstempel zum ersten Mal betreten zu dürfen. Der damalige Luzerner Baudirektor, Robert Küng, war einer von ihnen. Er war zugegen, um feierlich das rote Band zu durchtrennen. Die Mall wurde mit viel Pomp eröffnet, mit Trommlern, die mit Seilen an der Decke befestigt waren und überdimensional grossen Alphörnern.
Von diesem Tamtam ist nach fünf Jahren nicht viel übrig geblieben. Zum fünfjährigen Jubiläum gab’s ein Glücksrad und Entenfischen für die Kleinen (zentralplus berichtete).
Die Verantwortlichen der Mall lassen sich nicht aus der Ruhe bringen. Auf Anfrage von zentralplus kommunizieren sie keine konkreten Besucherzahlen. Sie seien aber auf Kurs. Die Besucherzahlen würden «stetig zunehmen». Auch die Umsatzzahlen würden einen positiven Trend zeigen.
«Wir sind nahe am Puls der Menschen.»
Mall of Switzerland
Mall of Switzerland
Vom Konzept des Einkaufspalasts sind die Verantwortlichen nach wie vor überzeugt. Von Beginn an hätten sie einen «breiten Ladenmix» angeboten. Regelmässig würden sie Kundinnen befragen, das Angebot laufend darauf ausrichten und die Entwicklung des Markts beobachten. «Wir sind damit nahe am Puls der Menschen», so die Medienabteilung. Zudem sei die Mall, die sich über 65’000 Quadratmeter erstreckt und 450 Millionen Franken kostete, nicht nur zum Einkaufen, sondern auch zum «Vergnügen und Verpflegen» da, was dem Bedürfnis von Kunden entspräche. Beispielhaft dafür steht ein Surfgang auf die Indoor-Surfwelle.
Seit letztem Sommer weht in der Mall ein frischer Wind: Mit «Multi Corporation» erhielt das Center eine neue Betreiberin (zentralplus berichtete). Die Medienabteilung meint abschliessend, man solle sich überraschen lassen, welche Geschäfte die niederländische Betreiberin als Nächstes ins Boot hole.
Nur stellt sich die Frage: Wie lange die wohl bleiben?